KÜNSTLER*INNEN

Manuel Wagner

Fotocredits: 
Manuel Wagner, Bark at the Wind, 2021, Galerie Paul Scherzer
© Bildrecht, Lina Schick, Halle Saale 2021

Ausstellungstext von Miriam Albert:

Tropfen, Gespenster, Farbschauer

Blumenhecke, Feuerwehr, Dinosaurier. Bebrillter Mann hebt Katze an. Jemand guckt, aus den Augen
läuft Grün. Küssen vor dem weißen Gitter der Toreinfahrt, dahinter das aufgerissene Maul eines Kampfhundes. Bleckt die Zähne, Zahnfleisch glänzt hellrosa. Sachte tasten die Hände übers Blau. Dieser schöne Rücken. Jagdhundszene, Anmut der gespannten Körper, bereit, sich jeden Moment ins Dickicht zu stürzen. Getränk auf dem Tisch, Katze im Teich, Blase, Blase, Wolken. Schwaden von Regenbögen, Gebilde. Flecken zu Schemen, Schleim. Körniges Violett. Kaffee im Augenblick seiner Verschüttung. Die zarten Falten zwischen den Beinen einer Frau. Grashalme aus den Ritzen zwischen den Gehwegplatten aus Beton. Zwei süße wuschlige Hündchen mit pinken Augen, und der Himmel ist hellblau angemalt. Lachende Münder beim Familientreffen. Es geht uns gut, wir haben Spaß. Flecken noch vom Ostereierfärben, Rot, Blau, Grün, Tropf. Love it or leave it. Ein Haus im Grünen, Palmen, Stelzen.

Haarige Weichteile ohne Kontext. Ein Rennrad liegt da, total verbogen. Einzelne Finger zweier Hände wühlen in etwas herum. Suchende Hände und aufgerissenes Papier. Gespenster und Spritzer. Gespenster, Spermien, ein Regenbogen. Geister, Schneeflocken, ein Wölkchen. Männer mit Pferden sind in der Wüste unterwegs, einer trägt Cowboyhut. Über den Himmel wuchern Ornamente. Manchmal findet das Auge ein Auge. Erstaunt schauen sie sich kurz an.

Saftig tropft das Leben aus den Bildern von Manuel Wagner. Grundsätzlich ist es wohl Malerei, aber es ist auch Fotografie. Vor allem ist es eine ständige Bildbearbeitung, und zwar mit allen Mitteln. Lacke und Säuren kommen zum Einsatz, Fotos werden übermalt, geätzt, darüber neue Fotos, ein Ausschnitt. In vielen Schichten und Arbeitsschritten, und all das parallel. Die Bilder stehen bereits im Moment ihrer Entstehung in dichtem Dialog.

Fotografie und Malerei sind in diesen Bildern kein Entweder-Oder, viel mehr balgen sie sich geschwisterlich wie Katzenbabys. Letztendlich vermählen sie sich. Die unbedingte Lust aufs Bild will alles zusammen. So bestehen die Bilder aus vielerlei Schichten, die aufgetragen wurden oder wieder abgekratzt. Ist die Farbe schon trocken? Ist das Lack oder Glas? Mehr Relief als bloße Bildfläche will man sie unwillkürlich anfassen. Und die Bilder sind nicht scheu. Sie beißen nicht, manche aber bellen. Hier ist eine Alchemie der Bildfindung am Werk. Selbstvergessen und hoch konzentriert folgt sie dem intuitiven Regelwerk des Moments, ähnlich einer musikalischen Improvisation. Getrieben von einer malerischer Verspieltheit, die immer auch ernst ist, gestaltet sich diese Arbeitsweise weder vorsichtig noch sauber, sondern sehr beherzt.

Die Bilder sind Bruchstücke von Geschichten, es sind viele Erzählungen mit sehr offenen Rändern. Keine Märchen erzählen sie, vielmehr reißen sie einzelne Seiten aus dem Märchenbuch des Alltags, und lassen uns damit allein. Das macht nicht zufrieden, sondern neugierig. Es ist wie ein Spiel: Einladung des Bildes an den Blick, zu verweilen, vielleicht ein Spaziergang. Der Beginn einer Geschichte. Sogleich rutscht der Blick dann aber aus, rutscht ab, denn das Bild verzerrt sich überraschend. Wie ein Wanderweg, der abrupt im Morast endet. Die Bilder treiben ihr Unwesen mit dem Blick: Sie locken, verführen, enttäuschen, und locken schon wieder. Hingabe, Entsagung, schon auch frech.

Es ist ein großes Gemenge, es ist ein Gemisch. Ein Gesamtbild aus vielen Einzelbildern. Verschleiert ist ihr Blick auf die Welt und turbulent, zuweilen melancholisch. Jedenfalls auch kitschig, grell, und verdorben. Die Bilder stemmen sich der Bilderflut unserer Tage entgegen und erschaffen zugleich eine neue, aber ganz andere Flut an Bildern.

www.manuelwagner.org