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Zwitschermaschine am 18.6.2022 in der Galaxie neuer Künste, 20 Uhr

mark weschenfelder – alto, klarinette, komposition
paul berberich – flöte, alto
vincent bababoutilabo – flöte, altflöte
johannes lauer – posaune
florian kästner – fender rhodes
andris meinig – kontrabass
florian lauer – schlagzeug
jan-einar groh – modulare synthesizer

Selten deutet ein Bandname derart genau die unter seinem Signum
veröffentlichte Musik. Im Jahr 1922 schuf Paul Klee sein gleichnamiges
Bild: Auf einer waagerechten, mit einer Kurbel versehenen Stange sitzen
vier Vogelindividuen. Mit weit aufgerissenen Schnäbeln und gereckten
Hälsen blicken sie in verschiedene Richtungen. Die Freiheit des Gesangs
trifft auf die Disziplin der Mechanik. Die „Zwitschermaschine“ des
Altsaxofonisten Mark Weschenfelder vereinigt vier von einer
Rhythmusgruppe angekurbelte Bläser. Die Musik ist so originell wie das
Bild. Auf schön unorthodoxe Weise wird der Bandsound von zwei Flöten
bestimmt, die neben, mit oder vor Saxofon, Posaune, Gitarre, Bass und
Schlagzeug flirren, glitzern, zwitschern… Weschenfelders Kompositionen
sind von immenser Beweglichkeit. Das Kopieren amerikanischer Vorbilder
liegt ihm ebenso fern wie das Kreieren simpler Startrampen für
improvisatorische Selbstdarstellungen. Er liebt es kompakt, farbenreich
und rasant. Überhaupt hält er das Prinzip Improvisation vital, ohne
sich in der Bequemlichkeit einmal gefundener Muster zu genügen.

Auch die frei improvisierte Musik hat ihre Klischees, doch Mark
Weschenfelder umgeht sie. Seine Oktettmusik besticht mit Drive und
geheimnisvollen Klangarchitekturen, die sich beim Hörer einfräsen.
Weschenfelders Zwitschermaschine hat etwas Treibendes. Das meiste an
dieser vertrackt eingängigen Musik ist notiert. Für ihre Entfaltung
braucht dieser Melange aus Jazz, Progressivem Rock und Neuer Musik mit
ihren Differentialtönen immense interpretatorische Genauigkeit. Doch
bewahren die Stücke bei aller Disziplin Spontaneität und Frische.
Viele kleine Reibeflächen sorgen dafür, dass diese Musik nichts
Steriles hat.
 „System for Us“ bündelt acht Individualisten in einem großen,
kompakten und gemeinsamen Klang, kleine Solos inklusive. Anklänge an
Steve Lehman, Henry Threadgill oder Steve Coleman scheinen auf, doch
haben Weschenfelders Stücke nichts Epigonales. Der Titel mischt die
Buchstaben der Komposition „Four Systems“ des Amerikaners Earle
Brown anders und illustriert die Nähe zur Neuen Ernsten Musik. Doch
bleiben Sinnlichkeit und Emotionalität des Jazz, wenn der Komponist
hier Sprache vermittels des internationalen Morsealphabets auf Musik
überträgt und Taktstrukturen aus kurzen und langen Morsetönen
entstehen lässt. Das Resultat ist etwas verblüffend Neues, ist
intensiv, druckvoll und nicht nur der originellen Instrumentierung wegen
so innovativ. Diese Musik fasziniert, weil sie sich so wohltuend
unverkopft und ungeschwätzig entfaltet.

VIDEOS:

https://www.youtube.com/watch?v=nL_lOepCXjo [1]

SOUND:

MINIATUR (2022)

HOCKET

https://soundcloud.com/specialfelder/zwitschermaschine-hocket [3]

Foto: Copyright Lukas Diller